Leicht redigiert und mit anderem Titel versehen (Wo sind die Piraten?) veröffentlicht als Kommentar der Anderen, Der Standard, Print und Online, 28.04.2010
Die World Intellectual Property Organisation (WIPO) hat den 26. April zum Welttag des Geistigen Eigentums ausgerufen. Das dem Urheberrecht verwandte Copyright erlebt zudem heuer den dreihundersten Jahrestag seiner Konstitution. Doch viel zu feiern gibt es nicht. Das Urheberrecht wird immer ambivalenter, da es sich heute weniger um ein Urheber- sondern mehr um ein Industrierecht handelt. Es dient weniger denn den Interessen der Kreativen, sondern denen der verwertenden Industrie, deren Lobbies immer stärker die Entwicklung der Gesetze bestimmen. Die dadurch ausgelöste Dynamik ist fatal. Abgesehen von wenigen Stars, verhilft das Urheberrecht KünstlerInnen kaum zu relevantem Einkommen. Die Musikerin Courtney Love fasste auf der Digital Hollywood Online Entertainment Conference das Problem folgendermaßen zusammen: „Heute möchte ich über Piraterie sprechen. Was ist Piraterie? Piraterie ist der Diebstahl künstlerischer Arbeit ohne dafür bezahlen zu wollen. Ich spreche hier nicht von napsterähnlicher Software. Ich spreche über die Verträge der Major Labels.“ Aber nicht nur bei der Vergütung der KünstlerInnen hapert es, auch in der kulturellen Produktion selbst, stellt das Urheberecht immer größere Hürden dar. Das reicht vom Dokumentarfilm wo Aufnahmen nicht nutzbar sind, weil die Hintergrundmusik aus dem Radio eruiert und lizenziert werden müsste, bis zur breiten Masse der InternetnutzerInnen, deren alltägliches Samplen und Remixen jederzeit zu Strafverfolgung führen kann.
So kann es nicht weitergehen. Wir treten für Neuordnung des Urheberrechts ein, damit Kreative auch von ihrer Arbeit leben können und damit Alltagsverhalten, das auf aktuellen Technologien beruht, nicht weiter kriminalisiert wird. Es stellen sich grundsätzliche Fragen:
Erstens, wen und vor wem soll ein Urheberrecht schützen? Es soll Kreativen einen Schutz gewähren, um zum einen für ihre Leistungen entsprechend entlohnt zu werden und zum anderen einen ideellen Schutz gewähren, um das Problem von Plagiaten in den Griff zu bekommen. Es soll aber auch die breite Bevölkerung schützen, indem es ihnen Rechtssicherheit gibt; darüber hinaus soll es auch noch öffentliche Interessen schützen, damit nicht durch übertriebene Bestimmungen innovative Prozesse abgebremst werden, was letztlich wiederum sowohl Kreative als auch die Gesellschaft als ganzes trifft.
Zweitens, wie kann das Urheberrecht an aktuelle und künftige Technologien angepasst werden? Auch mehr als zehn Jahre nach Napster steckt die Diskussion über rechtliche Anpassungen an aktuelle Technologie, die Tag für Tag von Millionen von Menschen verwendet wird nach wie vor in den Kinderschuhen. Grund dafür ist jedoch nicht eine politische Entscheidung sondern ein gerichtliches Fehlurteil im Falle von Napster, das die Illusion eröffnete, man könne das alles einfach verbieten. Auswege zeigen sich in der Einführung einer Kulturpauschale oder auch durch compulsary licensing. Dabei können Rechte nicht exklusiv für den digitalen Raum vergeben werden, sondern können beliebig verwertet werden, solange entsprechende Kompensation an Kreative geleistet wird, also eine Analogie zur bereits existierenden Verwertungsregelung durch Radiosender.
Drittens, welchen Stellenwert hat freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Kunst in einer vernetzen Welt? Die Verwendung von Werken im privaten Rahmen war noch nie vom Urheberrecht geregelt. Doch wo hört das Private im Internet auf und wo fängt das Öffentliche an? Ist eine Facebookseite privat? Ist ein Video auf YouTube, das von 10 Personen gesehen wird, privat? Aber auch im professionellen kreativen Bereich stellt sich die Frage wie mit Remixes, Sampling, Appropriation Art und ähnlichen Methoden umgegangen werden soll? Derzeit ist ein Gutteil aller digitalen Kunst und Kultur kriminalisiert.
Viertens, wie viel Kontrolle verträgt eine demokratische Gesellschaft? Derzeit lobbyieren die verwertenden Industrien auf Hochtouren um höchst bedenkliche Gesetze zu etablieren die eine komplette Durchleuchtung der Server, Computer, Mobiltelefone, schlicht aller elektronischer Geräte ermöglichen soll, um Urheberrechtsverletzungen zuaufspüren. Müssen sich wirklich alle NutzerInnen kreativer Inhalte belauschen und digital perlustrieren lassen? Die Debatte um „Three Strikes Out“, also wer bei drei urheberrechtlichen Verletzungen erwischt wird, verliert den Online-Zugang, zeigt mit welcher Skrupellosigkeit die Industrie bereit ist vorzugehen. Abgesehen von Problemen, dass es nicht nachweisbar ist, wer gerade den Familiencomputer benutzt hat, darf das Internet nicht zu einer kommerziellen Spielwiese der verwertenden Industrie degradiert werden. Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund.
In den letzten dreihundert Jahren ist die Gesellschaft deutlich dynamischer und offener geworden, das Urheberrecht hingegen immer restriktiver. Man sollte den runden Jahrestag zum Anlass nehmen, nicht einfach weiter an der Verschärfungsschraube zu drehen, sondern in einer breiten gesellschaftliche Debatte bestimmen, wie Verteilungsgerechtigkeit im digitalen Raum der nächsten Jahrzehnte aussehen soll.
Autoren:
Felix Stalder ist Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste und freier Autor in Wien.
Paul Stepan ist Gastforscher an der Erasmus-Uni Rotterdam und Leiter der Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien (www.fokus.or.at).