Ein Kommentar im Falter, Wien (08/2011).
Die Berichterstattung zu WikiLeaks folgt einem bekannten Muster massenmedialer Aufmerksamkeit. Erst ist alles wunderbar und heldenhaft, dann plötzlich skandalös und irgendwie nervig, um schliesslich als eh-nichts-neues wieder ad acta gelegt zu werden. Auch wenn es scheint, dass wir bereits in der dritten Phase angekommen sind, wäre es falsch, jetzt einfach zur Tagesordnung zurück zu kehren.WikiLeaks ist die bisher radikalste Verkörperung einer viel breiteren Entwicklung, deren Folgen für Regierungen wie für die Öffentlichkeit wir gar nicht richtig abschätzen können. Die Mechanismen, die es Institutionen erlaubt haben, verlässlich zwischen interner und externer Informationen zu trennen, funktionieren immer schlechter. Zu leicht lassen sich Daten kopieren, zu schnell sind sie publiziert. Neben WikiLeaks tragen eine Unzahl kleinerer und grösserer Akte dazu bei, dass diese Grenze schwerer zu sichern ist. Der Legitimität des ägyptischen Regimes etwa wurde auch dadurch untergraben, dass in den letzten Jahren immer wieder Aufnahmen von Folter durch Sicherheitskräfte, die von diesen selbst zur Abschreckung der Angehörigen aufgenommen wurden, von Aktivisten online veröffentlicht wurden (die, wie WikiLeaks nachvollziehen lässt, dabei von der US Botschaft in Kairo unterstützt wurden). Das legendäre Schweizer Bankgeheimnis wurde inert weniger Monate seinen Grundfesten erschüttert, weil unzufriedene Angestellte ganze Datensätze kopierten und gewinnbringend an europäische Steuerbehörden verkauften. WikiLeaks hat nun eine Infrastruktur geschaffen, um Quellen zu schützen, das übergebene Material zu sichten und umfassend zu veröffentlichen. Damit ist Hürde soweit gesunken, dass Informationen einer neuen Qualität an die Öffentlichkeit kommen. Die Transparenz, die WikiLeaks damit erreichen will, ist eine Transparenz mächtiger Institutionen gegenüber der Öffentlichkeit. Dies hat mit Überwachung, der Transparenz der Bürger gegenüber den staatlichen oder privaten Kontrollorganen, überhaupt nichts zu tun. WikiLeaks eine Überwachungsmaschine zu nennen, ist entweder unwissend oder bewusst irreführend.
WikiLeaks Strategien zur Schaffung von Öffentlichkeit haben sich in kurzer Zeit stark entwickelt. Der ursprüngliche Gedanke, das Rohmaterial nur online zu stellen und darauf zu vertrauen, dass jemand daraus Geschichten geschreibt, die der Brisanz der Dokumente gerecht werden, ist nach negativen Anfangserfahrungen ergänzt worden. Nun wird ausgewählten Medienunternehmen exklusiver Vorabzugang zu den Materialien gewährt, die dann gemeinsam mit der ersten journalistischen Aufarbeitung veröffentlicht werden. Das diese erste Auswertung das jeweilige Niveau der Medien widerspiegelt, kann nicht überraschen. Wobei festzustellen ist, dass die Qualitätsmedien ihre Aufgabe um Rahmen ihrer strukturellen Möglichkeiten (das heisst im Blattinnern) durchaus beachtlich erfüllen. Da muss man einfach über die Titelseite hinaus weiterlesen. Aber trotz Medienpartnerschaften wird das Rohmaterial weiterhin veröffentlicht. Diversen Akteuren steht es nun offen, diese Daten für ihre Interessen auszuwerten. Das müssen gar nicht viele tun, damit das Prinzip wirkungsmächtig wird. Eine Handvoll lokaler Aktivisten hat die knapp 25 Depeschen, die Tunesien betreffen, als TuniLeaks aufbereitet. Das war wichtig, denn es besteht ein entscheidender Unterschied zwischen verstohlenen Gerüchten und bestätigten Fakten. Insofern geht der Vorwurf, dass man ja eh schon alles gewusst habe, an der Sache vorbei. Durch die Veröffentlichung des Rohmaterials schafft WikiLeaks in der Tat Voraussetzungen für eine neue Öffentlichkeit, in der Massenmedien für die breite Aufmerksamkeit und neue Akteure für spezifische und vertiefte Aufmerksamkeit sorgen können. Das wird uns noch lange beschäftigen.
In der gedruckten Ausgabe (s.20) wurde der Titel verändert in "Wikileaks hat "nichts Neues" geleistet? Ein Einspruch gegen Eva Horn.", denn dieser Text bezieht sich indirekt auf ein Interview mit Eva Horn, das zuerst in der Zeit, dann auch im Falter der Vorwoche publiziert zu wurde.