Unsichtbare Öffentlichkeiten in Knowbotic Researchs
„Sei bereit! Tiger!“
Felix Stalder, Juni 2006,
Katalog Festival
Akzente,
Duisburg
Es war einmal alles so
einfach. Öffentlichkeit deutete
Sichtbarkeit und als sichtbar galt, was alle sehen konnten. Mit allen
waren – zumindest potentiell – tatsächlich
alle gemeint. Alle diejenigen, die gemeinsam an einem Ort lebten, oder
im Einzugsgebiet der selben Massenmedien und im Ordnungsbereich
einheitlicher Institutionen. Zusammen bildete dies den Kern
demokratischer Nationalstaaten.
Nun stellt die Künstlergruppe Knowbotic Research für
zwei Wochen ein Stealth Boot in den Hafen von Duisburg und zeigt, wie
brüchig diese einfachen Gleichungen geworden sind. Das im
Hafen vertäute Stealth Boot – durch seine
spezifische geometrische Form und Oberflächenbeschaffenheit
vom Radar nur schwer zu erfassen – ist ein präzise
konstruiertes Paradox. Auffällig gerade wegen seiner
Unsichtbarkeit und Unsichtbar trotz seiner Auffälligkeit.
Materiell, doch durch seine mediale (Un)Realität definiert,
navigiert es im hoch regulierten Raum und ermöglicht, neue
Räum ausserhalb dieser Regulierungen zu schaffen.
photos 1+ 3: kr+cf,
photos 2+4: Rainer Schlautmann
Das Paradox des Stealth Bootes ist bei näherer Betrachtung gar
kein Paradox im Sinne eines inneren Widerspruchs. Nicht zuletzt
deshalb, weil es tatsächlich im Hafen liegt, und danach auf
einer Internetplattform für Boote zum Kauf angeboten wird. Das
Paradoxe beruht vielmehr auf dem Widerspruch zwischen den Kategorien,
mit denen wir nach wie
vor versuchen, die Welt verstehend zu begreifen,
und dem aktuellen Verfasstheit der Welt, die sich diesem Zugriff immer
wieder, und immer weiter, entzieht.
Etwas verkürzt ausgedrückt handelt es sich um das
Problem, dass die Realität der Netzwerkgesellschaft mit den
Begriffen der Moderne kaum zu verstehen ist. Das Stealth Boot steht
hierbei für die neuen Realitäten der Netzwerke, die
ihre eigene Materialität produzieren, ihre eigenen Geographien
von Nähe und Distanz, ihre eigenen Formen von
Öffentlichkeit und Privatheit. Die neuen Netzwerke ersetzen
die konventionellen Akteure und Ordnungssyteme nicht, sie bilden auch
keine Parallelgesellschaften die sich nie berühren, sondern
überlagern, durchdringen und redefinieren diese in vielfacher
Weise.
Während des Kalten Kriegs war Unsichtbarkeit ein Privileg der
militärischen Elite und erlangte dadurch ein enormes Prestige.
In der Praxis war die Grenze zwischen realen Möglichkeiten und
Propaganda immer unscharf, weil ein wesentlicher Teil des Wertes der
Unsichtbarkeit darin liegt, sie partiell aufzuheben. Ganz im Sinne des
Foucault'schen Panoptikum ist es zentral, dass die Existenz des
Unsichtbaren bekannt ist. Ein wesentlicher Teil des Mythos machte aber
aus, dass nur die hochtechnisierte Akteure über diese
Technologien verfügen konnten und das waren, ganz
selbstverständlich, nur die hierarchischen Institutionen der
mächtigsten Staaten. Mit dem Ende des Kalten Krieges
zerbrachen auch die vertikalen Silos der Institutionen und
freigewordene Akteure begannen sich neu zu organisieren. Sie nahmen ihr
Wissen mit, und, mit Hilfe globaler, offener
Kommunikationstechnologien, sind sie seitdem in der Lage, es weiter zu
entwickeln und anzuwenden, ohne notwendigerweise auf den Apparat des
etablierten Militärs angewiesen zu sein.
Knowbotic Research fischte aus dem Internet ein Video, welches die
Tamil Tigers zeigt, wie sie in einem Stealth Boot die Küste
Sri Lankas patrouillieren. Auch hier ist es unklar, ob die Bedeutung
des Boots in seiner mythischen Propagandakraft liegt, oder in seinen
realen Kapazitäten. Aber schon alleine, dass es es unklar ist,
ist ein deutlicher Hinweis, dass die etablierten Institutionen von
globalisierten Netzwerken Konkurrenz bekommen haben und dass hier ganz
neue Aktionsfelder bestehen, die ex-Soviet Technologie, mit tamilischen
Rebellen und globalen Medien verknüpft. Hier entsteht eine
bisher unbekannte Konfiguration aus Nähe und Distanz,
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Materialität und Information.
In dieses translokale, volatile Handlungsfeld begibt sich Knowbotic
Research mit der Arbeit „Sei bereit! Tiger!“.
Ähnlich wie bei den Tamil Tigers hat das Boot sowohl
materielle wie informationelle Dimensionen. Es ist, im Sinne eines
'proof of concept', tatsächlich ein funktionierendes Stealth
Boot. Zwar dient es nicht der Guerilla Propaganda, aber sein
wesentlicher Zweck ist ebenfalls ein kommunikativer, nämlich
das Unsichtbare sichtbar zu machen. Das Unsichtbare ist allerdings
nicht das Stealth Boot selbst, das liegt ja gut sichtbar im Hafen,
sondern die translokalen Netzwerke. In ihnen zirkuliert nicht nur das
Wissen um diese Technologie, sondern sie sind auch in der Lage, sie
physisch zu produzieren, in dem sich in ihnen – selektiv und
temporär – verteilte Ressourcen zu
schlagkräftigen Akteuren zusammenfinden. In diesen Netzwerken
entstehen neue Formen des Sichtbaren, das aber nicht mehr für
alle zugänglich ist, sondern nur noch für diejenigen,
die selbst Teil des Verbandes sind. Von Aussen sind diese Netze quasi
unsichtbar, von Innen stellen sie neue Öffentlichkeiten dar.
Wieder ein Paradox – unsichtbare Öffentlichkeit
– aber wie dasjenige des Stealth Boots ist es kein Hinweis
auf einen inneren Widerspruch, sondern auf die Unangemessenheit der
Kategorien der Moderne für die Phänomene der
Gegenwart.