Der Kampf um die
Wissensgesellschaft
WochenZeitung,
Zürich, 13.10.2005
Der 6. Juli ist ein herausragendes Datum im diesjährigen
politischen Kalender. An diesem Tag stimmte das europäische
Parlament mit 648 zu 14 Stimmen gegen die Richtlinie zur
Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" und verhinderte
damit bis auf weiteres in der EU (und indirekt auch in der Schweiz) die
so-genannten Softwarepatente. Dass über 90% der
ParlamentarierInnen tatsächlich an der Abstimmung teilnahmen,
belegt wie sehr dieses einst obskure Thema – die Erteilung
eines temporären Monopols auf mathematische Formeln oder
Programmabläufe – ins Zentrum der Wirtschaftspolitik
gerückt ist.
Die hohe Stimmbeteilung ist aber nicht, was diese Abstimmung zum
Ereignis macht. Hier konnte erstmals einer Entwicklung Einhalt geboten
werden, durch die in den letzten 10 Jahren weltweit die Monopolisierung
von Wissen und Kultur massiv erweitert und damit die Macht der
Grosskonzerne, die nahezu alle relevanten Urheberrechte, Patente und
Marken kontrollieren, gestärkt wurde. Dies ist nicht nur
wichtig für die Entwicklung von Open Source Software, die
durch Patentierbarkeit und die damit einhergehende Rechtsunsicherheit
nahezu unmöglich gemacht worden wäre, sondern strahlt
auch auf unzählige andere Arenen im Kampf um die
Informationsordnung der Wissensgesellschaft aus, etwa der
Auseinandersetzung um die Patentierung von Saatgut, um dem Zugang zu
teuren, patentgeschützten Medikamenten in
Entwicklungsländern (und die explodierenden Gesundheitskosten
bei uns), oder um die massenhaften Kriminalisierung von Menschen, die
Musik in filesharing Netzwerken ohne kommerzielle Absicht austauschen.
Während jede dieser Auseinandersetzung ihren eigenen komplexen
Dynamiken folgt, sind sie doch miteinander verbunden dadurch, dass sie
sich jeweils auf die selben Grundfrage zurückführen
lassen: wie soll in der Informationsgesellschaft, zu der in knapp einem
Monat in Tunis ein UNO Weltgipfel stattfinden wird, die Produktion von
Information, Wissen und Kultur geregelt werden? Immer deutlicher
schälen sich hier zwei Positionen heraus, deren Konflikt
für das 21. Jahrhundert ähnlich folgenreich sein
könnte, wie es die Auseinandersetzung zwischen Arbeit und
Kapital für das 20. Jahrhundert war.
Auf der einen Seite stehen wesentliche Teile der Grossindustrie in den
hoch entwickelten Ländern, die fordert, dass immaterielle
Güter gleich wie materielle Güter behandelt werden
müssen. Das heisst, dass der Besitzer, der immer eindeutig
feststellbar sein muss, das exklusive Recht hat, andere von der Nutzung
seines Gutes auszuschliessen und den Gebrauch strickt zu regulieren.
Ähnlich wie die Besitzerin eines Haus das Monopolrecht an der
Nutzung ihres Hauses geniesst, dass auch die Möglichkeit des
Leerstandes einschliesst, soll auch der Eigentümer einer Idee,
eines Formulierung oder eines Bildes, das Monopol zur weltweiten
Nutzung dieses Titels geniessen. Dies wird in der Regel mit dem Schutz
der Investitionen begründet, die notwendig seien, um eine
schützbare Innovation zu schaffen. Tatsächlich
mindestens ebenso wichtig ist aber auch die Möglichkeit, sich
dadurch Marktmonopole (und die damit verbundenen Gewinne) zu sichern
und unliebsame Konkurrenz fernzuhalten, ohne deshalb in Konflikt mit
dem Kartellrecht, welches diese Praktiken verhindern sollte, zu kommen.
Dem gegenüber steht die Auffassung, dass materielle und
immaterielle Güter grundsätzlich verschieden seien
und deshalb ganz anderen Regelmechanismen unterliegen sollen. Als
Hauptunterschied wird angeführt, dass dank der Digitalisierung
Informationen kostenfrei kopiert und weltweit verteilt werden
können. Im Unterschied zu einem Haus, das nur von einer
beschränkten Anzahl von Menschen genutzt werden kann, kann
Information, ähnlich wie das Strassenlicht, nicht aufgebraucht
werden, sondern kann allen interessierten Personen gleichermassen zur
Verfügung gestellt werden, ohne dass irgend jemand deshalb
weniger davon hätte. Dazu wird darauf hingewiesen, dass
digitale Informationsproduktion in Wissenschaft und Kultur vielfach
kumulativ ist. Das heisst, bestehendes Wissen wird nicht nur
referenziert, sondern vielfach direkt in neues Wissen eingebaut, was
einen schnelleren Entwicklungszyklus erlaubt. Das freie Betriebssystem
Linux enthält immer noch Softwarecode, der in den 1980er
Jahren geschrieben wurde, andere Unix Systeme enthalten Code aus den
60er Jahren. Copy&paste, sampling und remixing sind
Grundoperationen der digitalen Produktion und die direkte Inkorporation
von Bestehendem in Neues ist Alltag. Es ist kein Zufall, dass heute
mehr DJ-Sets als elektrische Gitarren verkauft werden. Die immer
weitergehende Monopolisierung von Wissen verhindert nicht nur den
aktuellen Zugang dazu, sondern erlaubt auch den heutigen Besitzern zu
kontrollieren, wer das bestehende Wissen nutzen kann, um daraus in
Zukunft neues schaffen.
Die Praxis der Freien Software hat gezeigt, dass es möglich
ist, komplexe Informationsgüter zu schaffen, ohne auf
exklusive Besitzansprüche zu rekurrieren. Was hier in der
Entstehung begriffen ist, ist ein neues Paradigma der digitalen
Produktion, das auf dem freien Zugang und der freien
Veränderbarkeit der zentralen Wissensresourcen beruht. Davon
inspiriert gewinnen ähnliche Ideen auch auf anderen Gebieten
an Boden, wie etwa die Diskussion um Zwangslizenzen für AIDS
Medikamente zeigt.
Was bisher noch gefehlt hat, war ein politisches Subjekt,
dass diese Auffassung einer anderen Wissensordnung auch gegen den
Widerstand der organisierten Interessen in den relevanten Foren
durchsetzen konnte. Genau dies ist nun in der Auseinandersetzung um die
Softwarepatente entstanden. Es wurden überraschende
Koalitionen gebildet, linke Organisationen mit Kleingewerblern,
technologie-kritische Grüne mit technophilen Unternehmern,
sogar die notorisch individualistischen und zerstrittenen freien
Softwareprogrammierer haben sich gemeinsam nach Brüssel und
Strassburg begeben. Unter dem Schlagwort Wissensallemende (information
commons) formiert sich eine weltweite politische Bewegung, um eine
offene Wissensordnung gegen die Kräfte der Schliessung und
Monopolisierung durchzusetzen. Der 6. Juli 2005 markiert ihren ersten,
grossen politischen Sieg.
Softwarepatente sind allerdings nur eine von vielen Arenen, in denen
diese beiden Visionen aufeinander prallen. Dieser Tage herrscht wieder
Hochbetrieb bei der WIPO (world intellectual property organization) in
Genf, und die Zeichen stehen auf Sturm. Zum einen geht es um die
Verankerung einer "Entwicklungsagenda" im Mandat der WIPO, die
verhindern soll, dass die Entwicklung des Urheber- und Patentrechts die
Entwicklungsländern wie bisher benachteiligt. Zum anderen wird
über ein höchst kontroverses Abkommen (broadcast
treaty) verhandelt, das den Stationen weitreichende neue Monopolrechte
über das von ihnen gesendete Material erteilen würde.
Während die Konfliktlinien, zunehmend auch mit
geopolitischen Dimensionen, in diesen Auseinandersetzungen immer klarer
hervor treten, ist ihr Ausgang offener denn je zuvor. Nur soviel ist
sicher, die Einsätze sind extrem hoch, die IP-Lobby politisch
gut organisiert, und erzielten beziehungsweise erzwungen Ordnungen
werden den Charakter der Wissensgesellschaft nachhaltig
prägen.
Felix
Stalder ist Dozent für Medienökonomie an der
Hochschule für Kunst und Gestaltung, Zürich, und
Mitbegründer des Open Source Netzwerks Openflows.org