Nikeplatz in Wien
Felix Stalder, Tages-Anzeiger,
Zürich, 22.10.2003
Image credits: public
netbase
Just in dem Moment, als die Innenstadt Wiens nach langem hin und her
endlich in das UNESCO Verzeichnis des Weltkulturerbes aufgenommen
wurde, so ein Skandal. Seit Anfang Oktober steht auf dem
alt-ehrwürdigen Karlsplatz mitten in Wien ein aufwendig
gestalteter, doppeltstöckiger Ausstellungskontainer. Unter einem
grossen Nike Logo, dem Swoosh, wird die Bevölkerung informiert,
dass der Sportartikel Konzern mit der Stadt ein Übereinkommen
getroffen habe, um den Karlsplatz in Nikeplatz umzubenennen und mit
einem Denkmal, einem 18 Meter hohen Swoosh, zu versehen.
Nikeplatz Wien, so konnte man erfahren, sei nur der Auftakt einer
weltweiten Branding Kampagne, in der Strassen und Plätze umbenannt
und Städte aufgewertet würden. Wer wisse denn schon wirklich,
nach welchem Kaiser der Karlsplatz benannt sei, wurde nicht ganz zu
Unrecht gefragt. Nike hingegen kenne jeder, ein Name, der die heutige
globale Kultur ausdrücke, der für die Zukunft, nicht die
Vergangenheit stehe.
Das Magistratsamt (die örtliche Lokalverwaltung) musste sich
daraufhin mit irritierten Anrufen auseinander setzen und in den
Leserbriefspalten der Lokalzeitungen meldeten sich empörte Stimmen
zu Wort. Auch Nike zeigte sich irritiert und äusserte nach wenigen
Tagen ein Dementi: Man habe mit der Aktion nichts zu tun. Von einigen
wurde dies aber nur als eine weitere Verschärfung der
Taktiken des Guerilla Marketing verstanden. Sollte die Konzerne schon
so dreist, die Finanzkrise der öffentlichen Hand schon so
prekär geworden sein?
Nach zwei Wochen regem Treiben und medialer Spekulationen gaben sich
die tatsächlichen Initianten der Aktion zu erkennen: die
renommierte italienische Künstlergruppe 0100101110101101.ORG, mit
Unterstützung der Wiener Netzkultur Initiative Public Netbase. Die
Initianten verkündeten: "Wir wollen die Stadt zur Bühne eines
Theaterstücks machen und durch eine hyper-reale Inszenierung die
Wahrnehmung dieser Stadt verändern." Die Arbeit, so die
Initianten, thematisiere die zunehmende Vereinnahmung des
öffentlichen Raums durch Firmeninteressen.
Nike war von dieser Argumentation nicht sehr angetan und klagte
umgehend auf 78'000 Euros Schadenersatz. Damit rückte ein zweiter
Aspekt dieser Aktion in der Vordergrund. Dürfen Kulturschaffende
mit den Symbolen der Gegenwart, gerade auch den allgegenwärtigen
Firmenlogos, frei umgehen, oder können Firmen die Verwendung ihrer
Zeichen in allen Fällen kontrollieren. Sollte letzteres der Fall
sein, hätte dies ohne Zweifel eine empfindliche Einschränkung
der künstlerischen Freiheit zur Folge. Darüber haben nun die
Gerichte zu befinden, wobei es anzunehmen ist, dass Nike wohl eine sehr
viel diskretere aussergerichtliche Einigung vorziehen wird.
Wie man die Aktion auch immer beurteilen mag, pikanterweise steht der
Ausstellungskontainer schräg gegenüber der 1888 erbauten
Sezession. Dort steht über dem Eingang steht in grossen goldenen
Lettern: "Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit."
http://www.nikeground.com
http://www.t0.or.at/nikeground