Kunstfreiheit, reloaded
Felix Stalder, Springerin, Hefte für Gegenwartskunst 2/07

Die Freiheit der Kunst ist in den meisten europäischen Verfassungen verankert. In der Schweiz etwa lautet Artikel 21 der Bundesverfassung kurz und bündig „Die Freiheit der Kunst ist gewährleistet.“ In Deutschland (Art 5.3 GG) und Österreich (Art. 17a StGG) sind in den entsprechenden Paragraphen zusätzlich noch die Freiheit der Forschung bzw. Vermittlung und Lehre eingeschlossen. In der Rechtssprechung wird diese Freiheit zumeist als Schutz vor staatlicher Einflussnahme und Zensur verstandenen, während das ursprünglich romantische Postulat der Kunstfreiheit vor allem auf die Freiheit von bürgerlichen Konventionen abzielte. „Der Zeit ihre Kunst / der Kunst ihre Freiheit“, steht etwa über dem Eingang der Wiener Secession.

Während staatliche Einflussnahme heute wohl weniger eine Bedrohung darstellt (bzw. subtiler durch Förderungspolitik ausgeübt wird) und das bürgerliche Moralkorsett nicht mehr besonders eng ist, ist die Freiheit der Kunst heute einer ganz neuen Bedrohung ausgesetzt. Der ebenfalls verfassungsrechtlich verankerte Schutz des geistigen Eigentums wird immer mehr verstanden als ein mit allen Mitteln durchzusetzendes Monopolrecht. Dieses soll dem Rechteinhaber, zumeist ein kommerzieller Verwerter oder eine nachlassverwaltende Institution, eine quasi absolute Kontrolle über die Verwertung des geschützten Werkes und aller seine Teile, seinen sie noch so klein, geben. Die bestehenden Gesetze werden aggressiver angewandt und neue restriktive Gesetze, vor allem was den Schutz von technischen Schutzmassnahmen (digital rights management, DRM) betrifft, erlassen. In Summe wird der Kontrolbereich der Rechteinhaber erweitert während der Gestaltungsspielraum der aktuellen Kunstpraktiken eingeschränkt wird.

Die Situation ist umso dramatischer, weil der Versuch die Urheberrechte immer umfassender Durchzusetzen einer Vielzahl etablierter und neuer Kunstpraktiken, die mit der Übernahme, Veränderung und Neudefinition von bestehenden Inhalten arbeiten, diametral zuwider läuft. Während sich Kunsttheorie und -praxis immer mehr von der Gleichung Autor-Werk wegbewegen und kollaborative und transformative Aspekte in der Vordergrund rücken, wird sie im Gesetz immer rigider definiert. In diesem Spannungsfeld steigt das Risiko für KünstlerInnen und Kulturinstitutionen deutlich an, sich in den Grauzonen des Urheberrechts zu verirren und möglicherweise sehr teure Gerichtskosten aufbringen zu müssen. Für KünstlerInnen, die sich mit solchen Praktiken arbeiten, kann das einen spürbaren Verlust an kreativer Freiheit bedeuten.

Aber langsam beginnt sich auch Widerstand zu artikulieren. Zum einen durch künstlerische Projekte, die diese Spannungen gezielt freisetzen. Paradigmatisch ist hier das Projekt „nikeground“, welches die Künstlergruppe 0100101110101101.org zusammen mit der in Zwischenzeit geschlossenen Wiener Institution Public Netbase im Oktober 2003 veranstaltete. In unmittelbarer Nähe zur Secession wurde in einer Performance suggeriert, dass Nike das Sponsoring des Wiener Karlsplatz übernommen habe, welcher nun, wie zahllose Fussballarenen zuvor, nach dem Sponsor umbenannt werde. Die Einleitung rechtlicher Schritte wurde mit dem Verweis auf die Kunstfreiheit erfolgreich in eine öffentliche Diskussion umgewandelt. Nike zog sich weitgehend zurück.

Direkt auf den Gesetzgebungsprozess ziehen zwei neuere Initiativen ab. Die im Juni 2006 lancierte kanadische Initiative „appropriationart.ca“ weisst darauf hin, dass jegliche künstlerische Arbeit immer Akte des Nehmens und Gebens beinhaltet und dass die Verschärfung des Copyrights künstlerisches Schaffen in allen Bereichen bedroht. In kürzester Zeit hat sich nahezu die gesamte kanadische Kunstszene hinter diesen Standpunkt gestellt. Eine ähnliche Initiative wurde unter dem Titel „kunstfreiheit.ch“ Ende September in der Schweiz lanciert. Wie in Kanada stand auch in der Schweiz die Revision des Urheberrechts an, und mehr als 500 teils sehr prominente KünstlerInnen und VermitterInnen haben einen offenen Brief unterzeichnet, der deutlich macht, dass diese Ausweitung des Urheberrechts nicht im Interesse vieler UrheberInnen ist. Auch wenn der Einfluss auf den tatsächlichen Gesetzgebungsprozess in der Schweiz minimal war, war das öffentliche Echo weit grösser als erwartet und hat dazu beigetragen das Bewusstsein zu schärfen, dass (Kunst)Freiheit immer wieder von neuen, und gegen neue Angriffe, verteidigt werden muss.

Felix Stalder ist Dozent für Medienökomonie am Studienbereich Neue Medien der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich und Co-Initiator der Initiative Kunstfreiheit.ch