Vortrag von Felix Stalder
Veranstaltung: Kompensation oder
Kontrolle? Die
Musikindustrie nach der MP3-Revolution.
Heinrich-Boell-Stiftung, Berlin 29. September 2004
<http://www.nnm-ev.de/themen/urheberrecht/48024.html>
Kompensation Ohne Kontrolle
Die gesellschaftliche Bedeutung der 'MP3 Revolution' wird durch zwei
höchst unterschiedliche Dynamiken bestimmt, die in der Diskussion
fälschlicher Weise miteinander vermischt werden. Um diese
Diskussion vorwärts zu bewegen, ist es aber notwendig, sie klar
voneinander zu unterscheiden.
Auf der einen Seite haben wir die Tatsache, dass die Entwicklung von
peer-to-peer Tauschbörsen die Art und Weise, wie ein Künstler
an sein Publikum gelangen kann, bereits revolutioniert haben. Dies ist
besonders ausgeprägt, wenn das Publikum aus Teenagern besteht. Was
hier in den letzten Jahren passiert ist, ist irreversibel. Es ist heute
möglich, praktisch ohne Kosten Musik global zu vertreiben. Und das
noch höchst skalierbar. Je höher die Nachfrage nach einen
Musikstück, desto öfter kommt es in den Tauschbörsen
vor. Sinkt die Nachfrage, geht das Angebot langsam zurück.
Für Künstler ist das zunächst einmal eine gute
Situation, denn es erlaubt auch Nischenprodukten global verfügbar
zu sein. Und wie die Krise des 'Mainstream' zeitgt, sind die
allermeisten meisten kulturellen Produkte Nischenprodukte,
Freie Tauschbörsen haben den Nebeneffekt, dass sie digitale Musik
in ein öffentliches Gut
verwandeln, das ohne Verluste konsumierbar
ist. Das klassische Beispiel eines öffentlichen Gutes ist das
Strassenlicht, das allen uneingeschränkt zu Verfügung steht.
Ähnlich wie das Strassenlicht, das auch nicht abnimmt, wenn mehr
Leute auf der Strasse sind, kann auch Musik in Tauschbörsen nicht
übernutzt werden. Niemand hat weniger, wenn andere mehr haben.
Unter solchen Umständen sind die häufig gebrauchten Metaphern
von Diebstahl oder Piraterie schlicht und einfach nicht zutreffend.
Aehnlich absurd waere es zu klagen, dass jemand das Strassenlicht
stiehlt.
Das Problem allerdings ist, dass die peer-to-peer Revolution nicht weit
genug gegangen ist. Sie hat nur das Distributionsproblem gelöst.
Wie bei allen öffentlichen Gütern besteht die Frage: wie
sollen die Produzenten für ihren Aufwand kompensiert werden, wenn
die Produkte ihrer Arbeit nachher für alle frei frei
zugänglich sind. Das ist das eine Problem: die peer-to-peer
Revolution ist auf halben Wege stehen geblieben.
Nun wäre es eigentlich angesagt, den Markt spielen zu lassen,
damit sich neue Geschäftsmodelle entwickeln können, die sich
diese neuen Begebenheiten zu Nutze machen. Das wird allerdings
verhindert durch das zweite Problem, welches vorallem die politische
Dimension der Diskussion bestimmt.. Die Musikindustrie wehrt sich mit
Händen und Füssen dagegen, ihr etabliertes
Geschäftsmodel den neuen Möglichkeiten anzupassen.
Stattdessen erleben wir den Versuch, das technologische und legale
Umfeld so umzukrempeln, dass es der Industrie erlauben soll, Musik wie
bisher zu verkaufen. Nur eben ohne Träger. Wir haben es hier also
nicht mit der Wahrung von finanziellen Künstlerinteressen zu tun,
oder auch nicht mit der Wahrung von moralischen Rechten, sondern,
schlicht und einfach, mit Industriepolitik. Wie verfehlt diese
Politik
aber ist, lässt sich leicht an den Folgen ermessen. Diese sind
höchst unerfreulich, auch für die Industrie selbst, die sich
gezwungen sieht, gegen ihre eigenen Kunden vorzugehen. Besonders jetzt,
da gerichtlich festgestellt wurde, dass sich Tauschbörsen als
solches sich nicht verbieten lassen.
Gesellschafts- und kulturpolitisch betrachtet, geht es nun darum, das
erste Problem kreativ anzugehen, ohne in die Falle des zweiten Problem
zu tappen.
Wie können wir nun die kreativen Produzentinnen für ihre
Arbeit kompensieren, wenn diese, kaum veröffntlicht, frei
verfügbar ist? Wir müssen einen Modus zu finden, damit
Künstler, die Angebote schaffen, die vom Publikum nachgefragt
werden, entschädigt werden, ohne dass wir dafür die Endnutzer
in ein restriktives Kontrollkorsett zwängen müssen. Genau
dies zu ermöglichen ist das Ziel des Vorschlages einer 'Content
Flatrate', oder online Kulturpauschale.
Sie funktioniert folgendermassen: Rechtsinhaber werden indirekt
entschädigt, über eine Abgabe, die auf Dienste und
Güter
erhoben wird, die in direkten Zusammenhang mit dem Konsum von digitalen
Musik stehen. Man kann hier etwa an MP3 Player und Breitband
Internetzugang denken. Digitale Werke, die unter dieses System fallen
sollen, werden registriert, und mit einer Markierung versehen, die ihre
Identifikation ermöglicht. Etwas mit einem digitalen Wasserzeichen
oder einem speziellen XML code, ähnlich wie er heute schon benutzt
wird, um Metadaten in MP3 files zu kodieren. Wichtig ist: die digitalen
Werke werden nicht verschlüsselt und sie können weiterhin
frei ausgetauscht werden. Schliesslich geht es ja darum, die Effizienz
von freien peer-to-peer Systemen zu nutzen. Die Identifizierung der
Files erlaubt es, an neuralgischen Punkten, etwa in peer-to-peer
Netzwerken oder auf Download Servern, zu messen, welches Werke
wie oft nachgefragt werden. Daraus erlässt sich dann die
Popularität bestimmen, aufgrund derer der Rechtsinhaber aus dem
bestehenden Pool kompensiert wird.
Ein solches System hat mehrere Vorteile, über die bereits
erwähnt Kosteneffizienz in der Distribution hinaus. Ich
möchte hier nur drei erwähnen. Erstens: fairer Marktzugang
für alle. Das System ist für den Anbieter sehr
kostengünstig. Das bedeutet, dass alle Anbieter gleichermassen
davon profitieren können. Es ist nicht notwenfig, erst in teurere
DRM Technologien zu investieren. Dies ist besonders für kleinere
Anbieter, das ist die überwiegende Mehrheit der Künstler,
überlebensnotwendig. Zweitens:
genaue Marktsignale. Die Anbieter
erhalten sehr viel genauere Signale, welcher Angebote nachgefragt
werden, als sie das über den herkömmlichen Markt in
Plattenläden erhalten. Es ist kein Zufall, dass die Musikindustrie
heute schon Daten übe die Nutzung von peer-to-peer Netwerken
erhebt. Sie macht das nicht nur, um die Nutzer zu verklagen, sondern
vor allem auch, um schneller und genauere Informationen zu erhalten,
was die Fans wirklich mögen. Da die Auszahlung der
Kompensation an die Nachfrage nach den Produkten gerichtet ist, werden
weiterhin finanzielle Anreize geschaffen, das zu produzieren, was auch
wirklich nachgefragt wird. Nur dass in einer Kulturpauschale, die
Nachfrage direkt erhoben werden kann, und nicht über einen stark
verzerrenden Markt, der auf wenige Renner ausgerichtet ist, die all von
einer Handvoll Anbieter stammen. Drittens: Schutz der
Privatsphäre. Da es nicht darum geht, wer ein
Musikstück
nachfragt, sondern nur wie oft es nachgefragt wird, müssen die
einzelnen Benutzer nicht persönlich identifiziert werden. Dies
erlaubt den Schutz der Privatsphäre, wie sie auch von
europäischen Richtlinien und nationalen Gesetzen verlangt wird.
Der Teufel steckt natürlich im Detail, und die bestehenden
Verwertungsgesellschaften können nur bedingt als ein Modell
dienen. Die einzelnen Element auszuarbeiten ist noch ein gutes
Stück Arbeit und wir stehen hier erst am Anfang der Diskussion.
Bedeutet dies, dass eine Kultupauschale unrealistisch ist? Klar ist, so
etwas lasst sich über Nacht realisieren. Aber man muss das in der
richtigen Dimension sehen, besonders im Verhältnis zum
alternativen Vorschlag, einer DRM-basierten vollumfänglichen,
ewigwährenden Kontrolle der gesamten digitalen kulturellen
Produktion. Wir sprechen hier von einem grundsätzlichen Umbau
einer bis in alle Lebensbereiche verbreiteten Kulturtechnologie, des
Computers. Ein Computer besteht im wesentlichen aus zwei
Grundfunktionen, dem Manipulieren und dem Kopieren von Daten. Das
Kopieren von Inhalten effektiv zu unterbinden, verlangt einen Umbau der
gesamten Infrastruktur mit weitreichenden Folgen. Ist das eine
realistische Perspektive? Da bin ich nicht überzeugt, und nicht
nur ich, sondern vor allem auch genau diejenigen Ingenieure, die diese
neue Kontrolltechnologie tatsächlich entwickeln. In der Praxis ist
das nicht zu bewerkstelligen, deshalb drängt die Industrie auf
immer strengere Gesetze, die mittels repressiven Massnahmen, das
ermöglichen soll, was technisch nicht durchsetzbar ist. Die Folgen
gehen weit über den Schutz einer, volkswirtschafltlich gesehen,
relativ kleinen Industrie hinaus. Es werden Probleme geschaffen, die
nur schwer vereinbar sind mit einer demokratischen Wissensgesellschaft.
Ist das akzeptabel? Auch hier bestehen schwere Bedenken.
Lassen sie mich zum Abschluss noch auf zwei Punkte zu sprechen kommen,
die häufig als Argumente gegen eine solche Pauschale
aufgeführt werden.
Erstens: Das sei die Enteignung von
Künstlern, die die Kontrolle
über die Verbreitung ihres Werkes verlieren. Dies ist
natürlich falsch. Diese
Kontrolle besteht heute schon nicht. Jeder
kann eine Lizenz erwerben, um ein um eine Cover-version eines
Stückes einzuspielen. Das Radio kann jedes Musikstuck spielen,
dass es möchte. Und, last but not least, die Gema macht es einem
Musiker in diesem Land faktisch unmöglich, einige seiner
Stücke unter einer freien Lizenz, wie sie vom CreativeCommons
Projekt entwickelt wurden, anzubieten. In einem pikanten Fall hat EMI
dem brasilianischen Kulturminister und Musiker Gilberto Gil verboten,
seine Stücke unter einer solchen Lizenz neu aufzulegen. Wo ist
hier die Kontrolle und Selbstbestimmung der Künstler? Darüber
hinaus ist natürlich Enteignung der völlig falsche Begriff,
denn es wird ja niemanden etwas weggenommen. Ganz im Gegenteil, es wird
eine neue Verwertungsmöglichkeit geschaffen.
Der zweite Einwand ist, dass eine Kulturpauschale das Ende der
Musikindustrie sei. Auch das ist falsch, beziehungsweise stimmt nur,
wenn wir dieser Industrie überhaupt kein Innovationspotential zu
billigen. Die Situation ist etwa diejenige, wie wenn
Mineralwasserproduzenten fordern würde, man solle das
Leitungswasser in Privatwohnungen abschaffen, denn es mache ihren Markt
kaputt. Macht sie das? Natürlich nicht, denn sie hat gelernt, mit
einem freiverfügbaren Produkt zu leben, in dem sie ein
höherwertiges und spezialisiertes Produkt anbieten.
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