Die Kultur im
digitalen Käfig
Felix
Stalder, Tagesanzeiger 24.02.2004
Die Auseinandersetzungen um den Umgang mit digitalen Kulturgütern
nimmt immer merkwürdigere Züge an. In den USA verklagen die
grossen Musiklabels zunehmend ihre eigenen Kunden, in der Hoffnung, mit
ein ein paar Hundert exemplarischen Strafen die Massen von der
Teilnahme an Internettauschbörsen abschrecken zu können.
Bisher scheint diese Taktik, die bald auch nach Europa kommen
könnte, keine eindeutige Wirkung zu zeigen. Es bleibt fraglich, ob
ein Geschäftsmodell, dass der eigenen Kundschaft
grundsätzlich feindlich gegenübersteht, überhaupt
zukunftsträchtig sein kann.
Eine ganz anderere Auseinandersetzung bewegt derzeit die Gemüter
der digitalen Kulturschaffenden in Deutschland. Die Hamburger Reemtsma
Stiftung geht dieser Tage ungewöhnlich scharf gegen das Berliner
Kulturprojekt textz.com vor. Im Zentrum des Streites stehen
pikanterweise zwei Texte des Philosophen Theodor W. Adorno, die von
textz.com zum freien Download angeboten werden, obwohl die Remtsma
Siftung über deren exklusive Verwertungsrechte verfügt.
Juristisch gesehen ist der Fall klar, textz.com verstösst gegen
das Urheberrecht. Aber dass gerade Texte von Adorno im Zentrum der
Auseinandersetzung um die Grenzen unabhängiger kultureller
Projekte im Internet stehen, gibt dem Fall eine besondere absurde Note.
Denn wohl kaum ein Philosph oder Soziologe hat sich so kritisch wie
Adorno mit der Rolle der Kulturindustrie befasst. Es kommt aber noch
merkwürdiger. Die Klage wurde nicht von einem kommerziellen
Verleger, sondern von einer prominenten, progressiven Siftung, die sich
eigentlich die die Förderung von Wissenschaft und Kultur auf die
Fahnen geschrieben hat, angstrengt. Die zeigt, dass sich der Konflikt
nicht in traditionelle Kategorien von links-rechts, kommerziell vs.
nicht-kommerziell fassen lässt.
Um Grunde genommen geht es um zwei radikal unterschiedliche Visionen
der kulturellen Wissensordnung der Zukunft, die schon mächtig in
die Gegenwart hinein wirkt. Auf der einen Seite steht die Vision der
Information ein (materielles) Ding, vorzugsweise als ein Produkt. Dem
steht die Vision der von Information als einen immateriellen Prozess
gegenüber. Die Anhänger der ersten Sichtweise argumentieren
mit dem moralischen Recht und der wirtschaftlichen Notwendigkeit der
totalen Kontrolle der digitalen Kulturgüter durch die Urheber,
beziehungsweise die nachfolgenden Rechteinhaber. Hier bedeutet die
Vernetzung in erster Linie neue Möglichkeiten, digitale Güter
viel weitgehender als bisher kommerziell nutzen können. Neue
technologische Plattformen, so genannte Digital Rights Management (DRM)
Systeme, sollen es ermöglichen, jede nicht-lizensierte
Nutzungsform auszuschliessen. Dank DRM soll beispielsweise genau
bestimmt werden können, wie oft ein elektronisches Buch gelesen
oder ein Song gehört werden kann, bevor eine neue Lizenz erworben
werden muss. Erste Systeme sind schon auf dem Markt, etwas in Form von
CDs mit eingebautem Kopierschutz. Die Unzulänglichkeiten der
jetzigen Technologien bedeutet nicht, dass diese Vision mittelfristig
unmöglich ist, denn sehr viel weitergehende Systeme sind bereits
in Entwicklung. Die Befürworter dieser Vision argumentieren nicht
nur mit dem Schutz der Rechte, sondern auch mit der Fairness für
die Konsumenten, die nur noch soviel zu bezahlen hätten, wie sie
auch wirklich nutzen.
Die andere Sichtweise sieht in der Vernetzung in erste Linie die
Chance, den Zugang zu Kulturgütern radikal zu vereinfachen, neue
Formen von Öffentlichkeit zu schaffen und neue kulturelle
Ausdrucksformen zu erproben. Hier steht weniger die kommerzielle
Auswertung im Zentrum, sondern die Möglichkeiten der kulturellen
Innovation, die bedroht würde, wenn nur noch voraus von den
Rechteinhabern abgesegnete Verwendungsformen erlaubt wären.
Innovation, so wird argumentiert, ist nur dann möglich, wenn mit
Rohmaterial frei umgegangen werden kann.
Im Moment gehen beide Seiten davon aus, dass ihre Visionen nicht
miteinander kompatibel sein werden und schlagen einen zunehmend
schrillen Ton an. Grundlage dafür ist, dass mit Computern endlos
vervielfältigt und via das Internet quasi kostenlos vertrieben
werden kann. Deshalb droht schon eine einzige ungeschützte Kopie
eines Werkes die Geschäftsmodelle, die auf lückenloser
Kontrolle beruht, zu untergraben. Mit Hilfe von DRM soll nun der Geist
der unkontrollierten Nutzung der digitaler Kultur wieder zurück in
die Flasche des regelten Vertrieb bugsiert werden. Die freien
Kulturschaffenden sehen sich dadurch in ihrer Existenz bedroht, denn
weil die Kontrolle es für sie verunmöglichen würde,
weiterhin frei mit digitaler Information zu arbeiten. Als Gesellschaft
stellt sich die Frage, ob es wünschenswert ist, jetzt die
Experimentierfeld Internet mit DRM zu schliessen, oder ob nicht gerade
die Kulturschaffenden ermutigt werden sollen, die Möglichkeiten
digitaler Kommunikation weiter zu erforschen. Adornos Sympathien
hätten zweifelsohne bei den Kulturschaffenden gelegen, nur leider
hat er seine Rechte abgetreten.