Wenn Anwälte über Kunst sprechen
Felix Stalder
In der Ausstellung 'legal perspective', im plug-in in Basel, lotet die Hamburger Netzkünstlerin Cornelia Sollfrank das rechtlichen Mienenfeld aus, in welches sie mit ihrem ursprünglichen Ausstellungskonzept geraten war. Eigentlich wollte sie den Ausstellungsraum mit Blumenbildern füllen, erstellt durch ihren Netzkunstgenerator. Der Generator ist ein Computerprogramm, das bestehende Bilder auseinander nimmt und neu zusammensetzt. Andy Warhols berühmte Blumenserie hätten als Rohmaterial in die Maschine eingespeist werden sollen. Dazu kam es aber nicht. Die Anwälte des plug-in wiesen darauf hin, dass bestehende Bilder als Grundlage für die Generierung neuer Bilder zu verwenden, mit grosser Wahrscheinlichkeit urheberrechtliche Probleme auslösen würde. Auf einen Rechtsstreit mit der mächtigen Warhol Foundation wollten und konnten sich weder das plug-in noch die Künstlerin einlassen. In der Ausstellung ist dementsprechend keine einzige Blume zu sehen. Stattdessen werden Interviews mit vier praktizierenden Urheberrechtsanwälten gezeigt. Diese nehmen den Netzkunstgenerator zum Ausgangspunkt, um die Künstlerin über den rechtlichen Status ihrer eigenen Arbeit aufzuklären. Das ist bitter nötig, denn, wie unmissverständlich festgestellt wird, es sei nicht Sache der Künstlerin zu bestimmen, was Kunst ist, sondern Sache der Gerichte.
Eine leicht gekürzte Version wurde im Tages-Anzeiger, 18.11.2004, publiziert.
Was in diesen Interviews zum Ausdruck kommt, ist die enorme Deutungsmacht der Juristen. Auffällig ist jedoch, wie unpassend die Begriffe sind, mit denen die Realität der aktuellen Kunstproduktion beurteilt wird. Zentral für das Urheberrecht sind die Begriffe 'Werk' und 'Autor', die sich seit dem 19. Jahrhundert nur unwesentlich verändert zu haben scheinen. Ein Werk ist gedacht als ein geschlossenes, stabiles Objekt, Autor ist der allein verantwortliche Schöpfer. Das passt gerade noch zum klassischen Künstler, der, von einer leeren Leinwand ausgehend, in seinem Atelier sitzt und ein Bild malt. Dieses Bild muss nun auch noch einen gewissen originären Gehalt vorweisen, die so genannte Schaffenshöhe, damit es überhaupt als eigenständiges Werk angesehen wird. Die Geschichte der Avantgarde des 20. Jahrhunderts, spätestens seit Marcel Duchamps 'Ready Mades', kann aber als eine Rebellion gegen genau diesen Werk- und Autorenbegriff gelesen werden. Pikanterweise ist Andy Warhol, der seine Kunst in einer 'factory' von Assistenten produzieren liess und immer wieder beteuerte, wie gerne er eine Maschine wäre, einer der wichtigsten Vertreter dieses Ansatzes.
Was einst Avantgarde war ist dank der Digitalisierung längst zum Alltag geworden. Unter dem Begriff der 'generativen Kunst' werden Projekte zusammengefasst, die, wie der Netzkunstgenerator, wesentliche Teile des kreativen Prozesses an die Maschine delegieren. Die Frage nach der Autorenschaft wird neu gestellt. In der Praxis noch viel weiter fortgeschritten ist die Auflösung des Werkbegriffs. Digitale Technologien machen das Bearbeiten bestehender Werke trivial. Sampling und remixes haben sich längst als Techniken etabliert. Wo das eine Werk aufhört und das andere beginnt ist in solchen transformativen Prozessen kaum mehr festzustellen.
Für die Rechtsgelehrten sind diese Entwicklungen allerdings irrelevant, denn sie müssen mit Begriffen operieren, wie sie das Gesetz definiert. Diese nun auf ein Kunst Projekt wie Sollfranks Netzkunstgenerator anzuwenden, ist nur mit komplexen rhetorischen Kunstgriffen möglich. Dementsprechend widersprechen sich die Anwälte gegenseitig in ihren Ausführungen. Als Zuschauer wird man den Verdacht nicht los, einer Diskussion beizuwohnen, die zukünftigen Generationen ähnlich absurd erscheinen wird, wie uns mittelalterliche Debatten, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen.
Leider sind wir nicht die künftigen Generationen, sondern stecken mitten drin in einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbruch. Wie dieser Umbruch ausgestaltet wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob diese veralteten Begriffe der Gesellschaft aufgezwungen werden, oder ob neue Konzepte, die der aktuellen Kulturproduktion entsprechen, in die Gesetze aufgenommen werden. Die Revision des Urheberrechts, die sich gerade in der Vernehmlassung befindet, lässt allerdings wenig gutes erahnen.Die Ausstellung 'legal perspective' ist noch bis zum 22.11. im plug-in zu sehen. Cornelia Sollfrank wird am 20.11. im Rahmen der Viper über diesen Themenbereich sprechen.
Felix Stalder ist Dozent für Medienökonomie in der Studienrichtung Neue Medien, HGKZ